Das Wort des Grauens ist zurück. In Deutschland. In den USA musste es gar nicht zurückkehren, hier war es nie verschwunden, denn es taucht alle zwei Jahre im Wahlkampf auf. Es funktioniert halt so gut: Jener Kandidat, an dem das Wort des Grauens, „Sozialismus“, haften bleibt, hat in den USA keine Chance mehr, gewählt zu werden.
Darum holen die Republikaner und viele Medien es so gern hervor: „He’s a socialist“, das klingt in den Augen vieler Amerikaner und gewiss der meisten wohlhabenden Amerikaner wie: Er ist ein Kindermörder; und seine Mutter hat er erwürgt und im Garten verbuddelt. Unwählbar also.
„Socialism“ ist nämlich ungefähr das Gegenteil jenes amerikanischen Traums, der seit jeher jedem einzelnen Amerikaner und seit einigen Jahrzehnten (oder Jahren) auch jeder Amerikanerin Reichtum und Freiheit verheißt, wenn sie all dies denn nur wollen. Und dafür arbeiten. Und Mut haben. Das ist der Mythos des ewigen Drangs nach Westen, und noch heute lautet das Motto eines Bundesstaats wie New Hampshire: „Live free or die“.
Die meinen das ernst. Keine Steuern. Also auch keine Sozialleistungen. Keine Solidarität. Alle sorgen für sich und vielleicht noch für die eigene Familie, genau dies meint das Wort „Freiheit“. Wenn dann jemand wie Barack Obama das nicht existierende Netz der Krankenkassen ein wenig weiten will, schreien ihm die Rechten entgegen: „That is socialism“. Sobald eine Kongress-Abgeordnete wie Alexandria Ocasio-Cortez aus New York gegen Ungerechtigkeit antritt, beginnt bei Fox News eine Kampagne: „Sie will aus den USA die Sowjetunion machen …“ Bernie Sanders: „Er ist gefährlich. Ein Sozialist …“
Es ist wie bei so manchem Thema in den USA: Auch diese Debatte hat etwas Hysterisches. Einst jagten die Geheimdienste unter Hollywoods Drehbuchautoren nach Kommunisten – das war eine Absurdität des Kalten Krieges. Heute sagen Donald Trump und seine Gefolgsleute, dass gleich die gesamte demokratische Partei weit nach links gerückt sei: „Allesamt Extremisten, allesamt Sozialisten“, so Trump.
Wahr ist, dass auf diese Weise ein Bollwerk gesichert wird: Die Reichen wehren jeden Angriff im Ansatz ab. Wahr ist auch, dass gerade bei den jüngeren Demokraten eine Einsicht angekommen ist: Wer bei politischen Themen wie der Klimakrise irgendetwas erreichen will, muss kollektiv handeln, möglichst multilateral, und ohne Gesetze wird das nicht gehen. Sozialistisch ist an diesem Gedankengang allerdings nichts.
Und von einer sozialen Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland üblich und längst bewährt ist, sind die USA ohnehin weit, weit, endlos weit entfernt. Aus europäischer Sicht: brutal und gnadenlos weit.
Denn was hier (in Amerika) wie dort (in meiner Heimat Deutschland) gleichermaßen gilt, ist, dass eine Debatte, wie sie Kevin Kühnert nun in der ZEIT begonnen hat, natürlich sinnvoll wäre.
Der Kapitalismus ist exzessiv geworden und damit aus der Balance geraten: Moderne Weltmächte wie Google oder Amazon üben eine Macht aus, die wir noch nicht einmal ansatzweise verstanden haben; Steuern zahlen sie so gut wie nicht, und Kontrolle ist nicht möglich. Wenige Einzelne werden reich und reicher; viele Menschen haben keine Aufstiegschancen. Und die Märkte, die ja laut Theorie sich selbst regeln sollten, schaffen dies nicht: Der Wohnungsmarkt, beispielsweise, ist längst zügellos und stillt die Nachfrage nicht.
Manches, was Kevin Kühnert sagt, erscheint mir geradezu komisch: Enteignung? Von BMW? Und welche Freiheit bleibt in seinem Denken eigentlich übrig? In einem Land, dessen Geschichte ja in wesentlichen Teilen die Geschichte der DDR ist, klingt „Staatseigentum“ jedenfalls nicht verlockend.
Gesagt hat Kühnert aber auch: „demokratischer Sozialismus“. Und Demokratie bedeutet, dass einer einen Vorschlag macht oder sogar eine Utopie entwickelt – und dann beginnt die Diskussion.