Stand der Dinge:
Trump, FootballLeaks

Stand der Dinge:
Trump, FootballLeaks

5. November 2018
von Klaus Brinkbäumer

5. November 2018
von Klaus Brinkbäumer

I. Donald Trump und seine Republikaner sowie Gianni Infantino und die übrigen Mächtigen des Weltfußballs ähneln einander.  Sie halten sich selbst für das Maß aller Dinge, es geht um mehr Geld und mehr Ruhm und nicht um irgendeine Sache.

I. Donald Trump und seine Republikaner sowie Gianni Infantino und die übrigen Mächtigen des Weltfußballs ähneln einander.  Sie halten sich selbst für das Maß aller Dinge, es geht um mehr Geld und mehr Ruhm und nicht um irgendeine Sache.

Darum behaupten sie, die allein gültige Wahrheit auszusprechen, darum halten sie Medien und vor allem natürlich Recherche und Kritik für überflüssig und unverschämt. Sie sind maßlos, sie sind dreist. Sie müssen die Wähler und die Fans für dumm und naiv halten, sonst wären sie vorsichtiger. Zurückhaltender.
Es gibt aber auch einen wesentlichen Unterschied. Trump trat abrupt auf die politische Bühne, Radikalität ist das Wesen seines politischen Tuns.

Gerade diese Radikalität begeistert seine Wählerinnen und Wähler, gerade sie mobilisiert die Opposition: 180-Grad-Wenden überall, der Präsident legitimiert Rassismus und Frauenfeindlichkeit, der Präsident nennt Medien „Feinde des Volkes“ – täglich wird er deswegen attackiert, stündlich überführt.
Im Fußball geschah der Wandel schleichend, es gibt auch den einen Verantwortlichen nicht.

Durch die Fernsehübertragungen kam ganz langsam unanständig viel Geld ins Spiel, und wer zufälligerweise irgendwo an der Macht war, wenn gerade durch eine kleine Schweinerei noch mehr Geld verdient werden konnte, der sagte halt „okay“ und machte mit und konnte sich stets auf all die anderen berufen.

So kam die WM 2006 nach Deutschland, so kommen Weltmeisterschaften nach Russland und Katar. Montagsspiele; Anstoß um 13.00 Uhr; die Zerstörung perfekter Turnierformate (16 bzw. 32 Mannschaften) zugunsten von noch mehr Spielen mit noch weniger Niveau; natürlich Doping; und dann diese Transfersummen und Gehälter, die sich niemand mehr vorstellen kann – all das hat das schöne Spiel allmählich pervertiert. Alles Schleichende aber erzeugt keinen Widerstand – auch die Menschheit und der Klimawandel sind schon mehrfach mit dem gutgläubigen Frosch im etwas zu langsam heiß und immer heißer werdenden Wasser verglichen worden.

II. Einer, der wirklich und aus leidendem Herzen weiß, wie sich der Sport ganz, ganz langsam selbst zerstört hat, ist der New Yorker Roger Angell, Autor des „New Yorker“, 98 Jahre alt und ein guter Freund. Roger, Jahrgang 1920, ging vor weit über 80 Jahren erstmals ins Yankee Stadium.

Wir befinden uns nun Mitte der dreißiger Jahre, die New Yorker Teams heißen Giants und Yankees. Carl Hubbell verbeugt sich stets zweimal, ehe er für die Giants seinen berühmten screwball wirft; und Joe Di Maggio, „mein Joe Di Maggio“ (Roger) kommt 1936 aus San Francisco in die Stadt aller Städte, erobert sich Yankee Stadium und mit den Yankees dann die USA.

Eine Ära beginnt, Roger Angell ist Zeuge, Reporter, Liebhaber. „Yankee Stadium war die kondensierte Metropole“, sagt Roger, die ganze Stadt war hochkonzentriert, alle fieberten, alle wollten alles wissen, „und die Fakten waren rar, weil sie so langsam von Mund zu Mund getragen wurden".

Roger sah „The Babe“, Babe Ruth, gleich danach Lou Gehrig. 55 Cent kostete der Eintritt. Nachmittags um 15.15 Uhr war das Stadion halbleer, denn New Yorker arbeiteten schon damals hart; samstags oder sonntags standen stöhnende und jauchzende 70.000 Menschen auf den Tribünen. Und die Yankees gewannen. Und gewannen.

III. In einem seiner wundervollen Texte („Early innings“) erinnert sich Roger Angell an diese frühen Jahre, er ist ein Romantiker, und ja, wie so viele andere Sportliebhaber ist er hilflos enttäuscht von dem modernen Sport der Gegenwart:
„Sport war anders in meiner Jugend – eine Serie von Ereignissen, auf die man sich begierig freute und die man sodann in Erinnerung umwandelte, und noch nicht diese gewaltige, allgegenwärtige Industrie mit ihrer eigenen Betriebswirtschaft, ihrer eigenen Politik und ihrem alles zerquetschenden Marketing …

Einem Spiel beizuwohnen, das bedeutete viel, für Erwachsene und für Kinder, da es die einzige Möglichkeit war, den Athleten zu begegnen und zu erleben, was sie taten. Es gab kein Fernsehen, keine Zeitlupenwiederholung, keine Abendzusammenfassung. Wir sahen die Spieler auf Zeitungsfotos oder auf dem Cover der Monatszeitschrift ‚Baseball‘ … und hier und dort in einer Anzeige.

Niemals hörten wir ihre Stimmen, und wir wussten nichts über ihr ‚Image‘. Die New Yorker Teams verboten Radioübertragungen von ihren Heimspielen während der Jahre 1934 bis 1938, weil sie von der Theorie ausgingen, dass tägliche Übertragungen den Zuschauerschnitt senken würden. Wenn du dem Spiel folgen wolltest, musstest du dich schon zum Arbeitsplatz der Spieler bewegen, und sobald du dort warst, folgtest du dem Geschehen mit ganzer Aufmerksamkeit, nicht abgelenkt durch Rockmusik oder Werbung. Die Spieler auf dem Feld zu sehen, stets aus gewisser Distanz, gab ihnen eine heroische Aura.“

Inzwischen, sagte mir Roger vor zwei Wochen in New York, gebe es bei Baseball-Übertragungen Jubelschreie vom Band; es würden also nicht mehr nur real existierende Geräusche gesendet, sondern es würden erstmals die dramaturgisch passenden zur Wirklichkeit gemischt – so wie das Gelächter, das auch bei den lausigsten Komödien noch herzhaft vom Band kommt.

IV. Was können wir tun?
In Sachen Politik: wählen. Morgen sind in den USA die Midterm-Wahlen.
In Sachen Sport: auswählen. Ich erfreue mich gerade an dem in meinem bisherigen Leben einmaligen Glück, dass meine zwei ewigen Verlierer-Clubs zur selben Zeit ein Spiel nach dem anderen gewinnen: Das kann natürlich auf keinen Fall so bleiben, aber Preußen Münster ist Zweiter in Liga drei, und der FC St. Pauli ist noch einige Stunden lang Erster in Liga zwei.

Auf den ganzen lauten Rest kann ich durchaus verzichten.

Darum behaupten sie, die allein gültige Wahrheit auszusprechen, darum halten sie Medien und vor allem natürlich Recherche und Kritik für überflüssig und unverschämt. Sie sind maßlos, sie sind dreist. Sie müssen die Wähler und die Fans für dumm und naiv halten, sonst wären sie vorsichtiger. Zurückhaltender.
Es gibt aber auch einen wesentlichen Unterschied. Trump trat abrupt auf die politische Bühne, Radikalität ist das Wesen seines politischen Tuns.

Gerade diese Radikalität begeistert seine Wählerinnen und Wähler, gerade sie mobilisiert die Opposition: 180-Grad-Wenden überall, der Präsident legitimiert Rassismus und Frauenfeindlichkeit, der Präsident nennt Medien „Feinde des Volkes“ – täglich wird er deswegen attackiert, stündlich überführt.
Im Fußball geschah der Wandel schleichend, es gibt auch den einen Verantwortlichen nicht.

Durch die Fernsehübertragungen kam ganz langsam unanständig viel Geld ins Spiel, und wer zufälligerweise irgendwo an der Macht war, wenn gerade durch eine kleine Schweinerei noch mehr Geld verdient werden konnte, der sagte halt „okay“ und machte mit und konnte sich stets auf all die anderen berufen.

So kam die WM 2006 nach Deutschland, so kommen Weltmeisterschaften nach Russland und Katar. Montagsspiele; Anstoß um 13.00 Uhr; die Zerstörung perfekter Turnierformate (16 bzw. 32 Mannschaften) zugunsten von noch mehr Spielen mit noch weniger Niveau; natürlich Doping; und dann diese Transfersummen und Gehälter, die sich niemand mehr vorstellen kann – all das hat das schöne Spiel allmählich pervertiert. Alles Schleichende aber erzeugt keinen Widerstand – auch die Menschheit und der Klimawandel sind schon mehrfach mit dem gutgläubigen Frosch im etwas zu langsam heiß und immer heißer werdenden Wasser verglichen worden.

II. Einer, der wirklich und aus leidendem Herzen weiß, wie sich der Sport ganz, ganz langsam selbst zerstört hat, ist der New Yorker Roger Angell, Autor des „New Yorker“, 98 Jahre alt und ein guter Freund. Roger, Jahrgang 1920, ging vor weit über 80 Jahren erstmals ins Yankee Stadium.

Wir befinden uns nun Mitte der dreißiger Jahre, die New Yorker Teams heißen Giants und Yankees. Carl Hubbell verbeugt sich stets zweimal, ehe er für die Giants seinen berühmten screwball wirft; und Joe Di Maggio, „mein Joe Di Maggio“ (Roger) kommt 1936 aus San Francisco in die Stadt aller Städte, erobert sich Yankee Stadium und mit den Yankees dann die USA.

Eine Ära beginnt, Roger Angell ist Zeuge, Reporter, Liebhaber. „Yankee Stadium war die kondensierte Metropole“, sagt Roger, die ganze Stadt war hochkonzentriert, alle fieberten, alle wollten alles wissen, „und die Fakten waren rar, weil sie so langsam von Mund zu Mund getragen wurden".

Roger sah „The Babe“, Babe Ruth, gleich danach Lou Gehrig. 55 Cent kostete der Eintritt. Nachmittags um 15.15 Uhr war das Stadion halbleer, denn New Yorker arbeiteten schon damals hart; samstags oder sonntags standen stöhnende und jauchzende 70.000 Menschen auf den Tribünen. Und die Yankees gewannen. Und gewannen.

III. In einem seiner wundervollen Texte („Early innings“) erinnert sich Roger Angell an diese frühen Jahre, er ist ein Romantiker, und ja, wie so viele andere Sportliebhaber ist er hilflos enttäuscht von dem modernen Sport der Gegenwart:
„Sport war anders in meiner Jugend – eine Serie von Ereignissen, auf die man sich begierig freute und die man sodann in Erinnerung umwandelte, und noch nicht diese gewaltige, allgegenwärtige Industrie mit ihrer eigenen Betriebswirtschaft, ihrer eigenen Politik und ihrem alles zerquetschenden Marketing …

Einem Spiel beizuwohnen, das bedeutete viel, für Erwachsene und für Kinder, da es die einzige Möglichkeit war, den Athleten zu begegnen und zu erleben, was sie taten. Es gab kein Fernsehen, keine Zeitlupenwiederholung, keine Abendzusammenfassung. Wir sahen die Spieler auf Zeitungsfotos oder auf dem Cover der Monatszeitschrift ‚Baseball‘ … und hier und dort in einer Anzeige.

Niemals hörten wir ihre Stimmen, und wir wussten nichts über ihr ‚Image‘. Die New Yorker Teams verboten Radioübertragungen von ihren Heimspielen während der Jahre 1934 bis 1938, weil sie von der Theorie ausgingen, dass tägliche Übertragungen den Zuschauerschnitt senken würden. Wenn du dem Spiel folgen wolltest, musstest du dich schon zum Arbeitsplatz der Spieler bewegen, und sobald du dort warst, folgtest du dem Geschehen mit ganzer Aufmerksamkeit, nicht abgelenkt durch Rockmusik oder Werbung. Die Spieler auf dem Feld zu sehen, stets aus gewisser Distanz, gab ihnen eine heroische Aura.“

Inzwischen, sagte mir Roger vor zwei Wochen in New York, gebe es bei Baseball-Übertragungen Jubelschreie vom Band; es würden also nicht mehr nur real existierende Geräusche gesendet, sondern es würden erstmals die dramaturgisch passenden zur Wirklichkeit gemischt – so wie das Gelächter, das auch bei den lausigsten Komödien noch herzhaft vom Band kommt.

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In Sachen Politik: wählen. Morgen sind in den USA die Midterm-Wahlen.
In Sachen Sport: auswählen. Ich erfreue mich gerade an dem in meinem bisherigen Leben einmaligen Glück, dass meine zwei ewigen Verlierer-Clubs zur selben Zeit ein Spiel nach dem anderen gewinnen: Das kann natürlich auf keinen Fall so bleiben, aber Preußen Münster ist Zweiter in Liga drei, und der FC St. Pauli ist noch einige Stunden lang Erster in Liga zwei.

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Der Spiegel: Journalisten haben zwei Aufgaben: Sie müssen die Wirklichkeit recherchieren, und dann müssen sie die Wirklichkeit darstellen. Lesen  

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