Was für eine Einstiegsszene war das damals, dieses erste Massaker an einer mexikanischen Großfamilie im ersten Band von Don Winslows „Kartell“-Trilogie. Und was für ein erster Satz im Original: „The baby is dead in his mother’s arms.“
Natürlich war die Mutter ebenfalls tot, denn die ganze Familie war ja tot – gefoltert und hingerichtet vom gerade herrschenden Drogenkartell, weil der Sohn der Familie angeblich ein Informant der Polizei war. Was nicht stimmte. Was der Held dieser Trilogie, Art Keller, aus taktischen Gründen aber so hatte aussehen lassen.
Was für ein Held also kann dieser Art Keller sein? Drei Bände hat Don Winslow fertiggestellt, der letzte („The Border“/„Jahre des Jägers“) ist gerade erschienen. Und hin und wieder gibt es das ja: dass Literatur so klarsichtig und zugleich so dramatisch die Wirklichkeit erfasst, dass wir Leser nach der Lektüre denken, etwas grausam Komplexes nun endlich verstanden zu haben.
Seit einem halben Jahrhundert läuft dieser sogenannte Krieg gegen die illegalen Drogen. Nichts ist gewonnen worden: Es gibt in Nordamerika mehr Tote und mehr Drogen als je zuvor. Eine Mauer zwischen den USA und Mexiko will Präsident Donald Trump bauen, Don Winslow twittert seit Monaten wütend gegen diesen Plan an.
Die USA, das war die Ursünde, haben den Kalten Krieg einst auch in Südamerika ausgetragen. Regime gestürzt. Kommunisten gejagt. Es war, so erzählt es Winslow, eine Phobie, anfangs mit reinen Motiven: Bei der CIA dachten sie ja wirklich, dass die Sowjetunion nahe und Kommunisten teuflisch seien. Bald jedoch destabilisierte die CIA aus reinem Machtkalkül demokratische Regierungen, und sie lieferte Geld und Waffen an Diktatoren und Drogenkartelle. Staaten zerfielen. Korruption, Gewalt, die Drogen blieben. Und dadurch erzeugten und befeuerten die USA jenen Drogenhandel und jene Migration, die sie heute so dringlich stoppen wollen.
Wer durch die USA fährt, erlebt, wie ganze Städte und Bundesstaaten verfallen. Der New Yorker Bezirk Staten Island erinnert an Lagos, es gibt kein Geld für Krankenschwestern oder Schulen, also natürlich auch keines für Prävention oder Entzug oder Rehabilitation. In Bundesstaaten wie New Hampshire reden die Menschen von einer „Epidemie“, die Junkies hocken überall.
„Wir müssen neu kalibrieren und neu denken“, schrieb mir Don Winslow. Am Ende seiner Trilogie steht ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freigabe aller illegalen Drogen.
In der neuen ZEIT habe ich über Winslows Lebenswerk und die Drogen geschrieben.